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Prypjat – Eine sozialistische Musterstadt für die Mitarbeiter des Kernkraftwerkes
Die im Jahr 1970 für die Fabrikarbeiter des Atomkraftwerks Tschernobyl errichtete Stadt Prypjat war von der Katastrophe am stärksten betroffen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung lag zum Zeitpunkt des Unfalls bei 25 Jahren und war die Vorzeigestadt der sowjetischen Regierung. Die Stadt verfügte über einen Bahnhof, einen Hafen, ein Krankenhaus und sogar über einen Vergnügungspark.
Während des gesamten Tages nach dem Unfall wurden die 50.000 Einwohner über die drohende radioaktive Verseuchung nicht informiert. Nicht einmal Jodtabletten wurden verteilt, die bei Bestrahlungen helfen. Der Nuklearunfall führte dazu, dass in Prypjat das Strahlenniveau auf das Tausendfache der natürlichen Strahlung stieg. Die Evakuierung der Stadt erfolgte erst am nächsten Tag, also am 27.4. Um eine Panik zu vermeiden, wurde die Bevölkerung bewusst falsch informiert, indem man ihnen sagte, sie sollten nur das Nötigste mitnahmen, da sie nach drei Tagen wieder zurückkehren könnten. Später dann wurde entschieden, dass niemand jemals wieder die Stadt betreten darf.
Die Evakuierung der Bewohner war eine gigantische Herausforderung
Das Problem der Evakuierung bestand darin, dass es nicht genügend Busse in der Umgebung gab. Später kamen andere aus Teilen der Sowjetunion hinzu, um die 50.000 Bewohner von dort wegzubringen. In weniger als drei Stunden war die Stadt leer. Am 5.5. wurde die Evakuierung der Menschen in der 30 km Zone um das Kernkraftwerk beendet. Heute ist dieser Bereich gesperrt. Lediglich Personen mit einer Genehmigung oder ehemalige Bewohner, die die Gräber besuchen wollen, dürfen sich dort aufhalten. Auf eigene Gefahr leben dort heute ca. 100 überwiegend alte Menschen. Ca. 3000 Arbeiter sind dort noch in einem speziellen Modus tätig.
Die Geisterstadt Prypjat heute ist eine Reise in die Vergangenheit
Heute ist Prypjat eine Geisterstadt. Trotz allem oder vielleicht gerade deshalb hat sie einen eigenen Charme, eine eigene Atmosphäre. Im Gegensatz zu den anderen Dörfern in der Nähe der Anlage wurde sie nicht dem Erdboden gleich gemacht. Trotz Überwachung der Stadt durch Polizei und Armee konnten Raube und Plünderungen nicht verhindert werden. Besonders nach 1991 als die Zone nach der Abspaltung der Ukraine von der Sowjetunion einzige Zeit unbewacht war, wurde Prybjat ausgeplündert. Es gibt heute dort keine Wohnung mehr, die Dieben nicht zum Opfer gefallen ist. Gleiches gilt für die bis zum Jahr 1994 funktionierende militärische Fabrik namens Jupiter.
Ein Spaziergang durch Prypjat ist wie eine Reise in die Vergangenheit. Überall findet man zeitgenössische Inschriften, Kennzeichen, Lehrbücher und Bilder. Besonders Zitate und Bilder von Lenin sind allgegenwärtig – in Kulturhäusern, im Hotel, im Krankenhaus und der Polizeistation sowie in Schulen und Kindergärten.
Die Dörfer in der unmittelbaren Umgebung erinnern an Siedlungen aus dem 19. Jahrhundert und sind teilweise so bewachsen, dass man sie von der Straße nicht einmal richtig erkennen kann. Dies zeigt wieder einmal, dass die Natur sich alles zurückholt. Mittlerweile ist die Sperrzone zu einem riesigen inoffiziellen Naturschutzgebiet geworden, indem Wildtiere frei leben können. Hier leben neben Przewaksi-Pferden auch Bären, Wölfe, Sumpfschildkröten, Adler und Elche.